VV 7000 Nr. 1a RVG

Nach VV 7000 Nr. 1a RVG kann für Kopien aus Behördenakten die Dokumentenpauschale gefordert werden, soweit diese Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sind. Der Umstand, dass der Rechtsanwalt seiner Darlegungspflicht nicht nachgekommen ist, berechtigt nicht, die Fotokopiekosten in vollem Umfang von einer Erstattung auszunehmen. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Effizienz können im Falle einer vollständigen Ablichtung von Akten regelmäßig im Wege einer pauschalen Bestimmung die Hälfte der geltend gemachten Kopien als Kosten nach VV 7000 Nr. 1a RVG angesetzt werden. (Leitsatz der Schriftleitung)

LSG Bayern, Beschluss vom 08.11.2016 - L 15 SF 256/14 E, BeckRS 2016, 74254

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 25/2016 vom 07.12.2016

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Sachverhalt

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht ging es um die Kosten für ein Widerspruchsverfahren. Am 26.11.2012 erhob die Klägerin über ihre Bevollmächtigte, die Beschwerdeführerin, Klage und beantragte die Gewährung von PKH. Diesem Antrag wurde mit gerichtlichem Beschluss vom 7.1.2014 entsprochen; die Beschwerdeführerin wurde beigeordnet. Das Klageverfahren wurde im Vergleichsweg beendet; das SG stellte per Beschluss das Zustandekommen des Vergleichs fest, in dem sich der Beklagte zur Übernahme von zwei Dritteln der notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens verpflichtet hatte. In der Folge beantragte die Beschwerdeführerin, ihre Vergütung für das Klageverfahren festzusetzen. Dabei setzte sie neben der Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr auch eine Dokumentenpauschale iHv 31 EUR für 90 gefertigte Kopien an. Mit Beschluss setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts die zu erstattenden Gebühren und Auslagen fest, dabei wurde ua die Dokumentenpauschale abgesetzt. Die Beschwerdeführerin sei trotz Aufforderung ihrer Verpflichtung zur Glaubhaftmachung der Gebotenheit der Anfertigung der Kopien nicht nachgekommen, sodass eine Erstattung der Dokumentenpauschale grundsätzlich abzulehnen sei. Hiergegen wandte sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Erinnerung und verwies ua zur Dokumentenpauschale auf den Beschluss des LG Essen (BeckRS 2011, 15528), wonach es keinen Bedenken begegne, wenn der Rechtsanwalt die Akten einer Kanzleikraft übergebe und vollständig ablichten lasse. Im vorliegenden Verfahren sei es um immer wieder schwankendes Einkommen der Klägerin und um verschiedene Zeiträume gegangen, was nur anhand der fast kompletten Akte habe nachvollzogen werden können. Mit Beschluss wies das SG die Erinnerung zurück. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin hatte vor dem Bayerischen Landessozialgericht teilweise Erfolg.

Rechtliche Wertung

Der Beschwerdeführerin stehe eine Dokumentenpauschale gem. VV 7000 Nr. 1a RVG aF zu. Nach VV 7000 Nr. 1a RVG könne für Kopien aus Behördenakten die Dokumentenpauschale gefordert werden, soweit diese Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten seien. Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung sachgemäß sei, sei auf die Sichtweise eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts, der sich mit der betreffenden Akte beschäftige, abzustellen. Dabei müsse kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. Dem Rechtsanwalt stehe ein Ermessensspielraum zu; dieses Ermessen müsse er ausüben und dürfe zB nicht ohne weiteres die gesamte Behördenakte von einer juristisch nicht geschulten Kanzleikraft ablichten lassen. Das Gericht sei allerdings nicht verpflichtet, von Amts wegen den Umfang des kopierwürdigen Aktenguts zu ermitteln.

Vorliegend sei im Wesentlichen der gesamte Inhalt der Beklagtenakte kopiert worden. Die Beschwerdeführerin habe nicht darlegen können, warum das Ablichten der gesamten Akte notwendig gewesen wäre. Die Begründung, dass es sich vorliegend um schwankendes Einkommen handle, sei insoweit nicht ausreichend. Zwar gehe auch der Senat davon aus, dass die Darlegungspflicht für den Rechtsanwalt nicht überzogen werden dürfe. Hiervon könne vorliegend jedoch nicht die Rede sein, da die Beschwerdeführerin der Darlegungspflicht im Hinblick auf die nicht nachvollziehbare Begründung nicht nachgekommen sei. Entgegen der Auffassung des SG berechtige der Umstand, dass der Rechtsanwalt seiner Darlegungspflicht nicht nachgekommen sei, weder im Vorschussverfahren noch bei der endgültigen Kostenfestsetzung dazu, die Kosten in vollem Umfang von einer Erstattung auszunehmen. Auch im vorliegenden Verfahren sei es aus Sicht des Senats erforderlich gewesen, dass Kopien aus der Verwaltungsakte gefertigt werden. Nur durch Gewährung von Akteneinsicht und der Möglichkeit zur Anfertigung von Kopien habe für die Klägerin ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet werden können. Unter Beachtung der vorstehend genannten Vorgaben der Rechtsprechung und insbesondere der fehlenden Pflicht des Gerichts, von Amts wegen zu ermitteln, welche einzelnen Aktenbestandteile kopierwürdig seien, sei bei der Bestimmung der Höhe der anzusetzenden Dokumentenpauschale eine pauschale und damit vereinfachte Berechnung vorzunehmen. Für eine solche Sichtweise spreche auch der das RVG bestimmende Grundsatz der Effizienz. Der Gesetzgeber habe für VV 7000 RVG eine solche vereinfachte Berechnung der Höhe der Kopierkosten als sinnvoll erachtet und einen Festbetrag je Ablichtung bestimmt. Dieser Grundsatz der Effizienz sei auch bei der Interpretation des Auslagentatbestands zu berücksichtigen. Im Falle einer vollständigen Ablichtung von Akten könnten regelmäßig im Wege einer pauschalen Bestimmung die Hälfte der geltend gemachten Kopien als Kosten nach VV 7000 Nr. 1a RVG angesetzt werden.

Praxistipp

Das LG Essen (BeckRS 2011, 15528) hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass es mit Blick auf die Erstattung von Auslagen grundsätzlich keinen Bedenken begegne, wenn ein Verteidiger die Akten einer Kanzleikraft übergebe und vollständig ablichten lasse. Das LSG Bayern hingegen nimmt die pragmatische Position ein, dass dann, wenn die Akten vollständig abgelichtet worden sind und der Rechtsanwalt seiner Darlegungspflicht zur Begründung der Notwendigkeit der einzelnen Kopien nicht nachgekommen ist, im Wege einer pauschalen Betrachtung die Hälfte der geltend gemachten Kopien als Kosten nach VV 7000 Nr. 1a RVG angesetzt werden können. Die gesetzliche Regelung der Dokumentenpauschale wird als unbefriedigend betrachtet (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, VV 7000 Rn. 237). Die vom LSG Bayern gefundene Lösung könnte auch ein Model sein für eine künftige gesetzliche Regelung der Problematik.

Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 7. Dezember 2016

Dezember 2016