VGH München: Strafrechtliche Feststellungen als Grundlage gaststättenrechtlicher Zuverlässigkeitsprüfung

StGB §§ 23, 263 I; GastG § 21 I

  1. Das Verwaltungsgericht darf strafgerichtliche Tatsachenfeststellungen nur dann nicht ohne weitere Ermittlungen seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen.
  2. Die Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung und die Strafaussetzung zur Bewährung im strafgerichtlichen Verfahren hindern nicht die Prognose gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit. (Leitsätze des Verfassers)

VGH München, Beschluss vom 04.10.2016 - 22 ZB 16.725, BeckRS 2016, 53474

Sachverhalt

Die Klägerin (K) wendet sich gegen den Widerruf einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis und die Untersagung des Betriebs der betreffenden Schank- und Speisewirtschaft. Die Beklagte (B) stützte die Einschätzung der K als gaststättenrechtlich unzuverlässig (§ 15 II iVm § 4 I 1 Nr. 1 GastG) auf den einem rechtskräftigen Urteil des AG zugrunde liegenden Sachverhalt. Mit diesem Urteil wurde der einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der K wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt im Hinblick auf den Arbeitgeberanteil in 121 Fällen, davon in 110 Fällen in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt bezüglich des Arbeitnehmeranteils, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In den Urteilsgründen wird u.a. ausgeführt, dem Urteil liege eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten gemäß § 257c StPO zugrunde. Weiter wird festgestellt, der angeklagte Geschäftsführer habe in „seinen“ verschiedenen Firmen mehrere Arbeitnehmer beschäftigt, die er nicht zur Sozialversicherung angemeldet habe. Auch habe er geringfügig Beschäftigte nicht der Minijobzentrale gemeldet. Insgesamt drei im Urteil als Zeugen bezeichnete Personen waren in der Schank- und Speisewirtschaft der Klägerin als sogenannte „selbstständige Mietköche“ beschäftigt. Sie waren nach den strafgerichtlichen Feststellungen jeweils als Selbstständige gemeldet, tatsächlich handelte es sich jedoch um Arbeitnehmer der K. Zudem wurden bei der K drei weitere Personen zur Durchführung von Bauarbeiten beschäftigt, zeitweise geringfügig. Diese drei Personen hatten jeweils ein eigenes Gewerbe angemeldet, waren jedoch nach den Feststellungen im Strafurteil Arbeitnehmer der K. Infolge der unterbliebenen Anmeldung der im Einzelnen bezeichneten Arbeitsverhältnisse sind fünf Sozialversicherungsträgern Schäden entstanden, die im Urteil aufgelistet werden und einen Gesamtbetrag von EUR 98.654 ergeben. K erhob gegen diesen Bescheid Klage, die das VG abwies. Hiergegen richtet sich der Antrag des K auf Zulassung der Berufung.

Rechtliche Wertung

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da nach Auffassung des Gerichts die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes nach § 124 II VwGO nicht erfüllt sind. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Das VG sei von dem Grundsatz ausgegangen, dass es strafgerichtliche Feststellungen nur dann ausnahmsweise nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen, insbesondere im Fall neuer Tatsachen oder Beweismittel, die nach § 359 Nr. 5 StPO die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens begründen würden. Gründe für eine solche Ausnahme seien im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Dass die Verurteilung hier auf einer Verständigung nach § 257c StPO beruhe, führe nicht zu einer anderen Bewertung. Diesen Ausführungen sei die K nicht mit schlüssigen Argumenten entgegen getreten. Diese habe bereits nicht konkret dargelegt, weshalb die Bewertung des Strafgerichts, bei den im Urteil bezeichneten Zeugen habe es sich nicht um Selbstständige gehandelt, unrichtig sein könnte. Auch habe sie zwar behauptet, jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass das Geständnis ihres Geschäftsführers im Strafprozess ausschließlich aus strafprozesstaktischen Gründen als nur „formales Anerkenntnis“ abgegeben worden wäre und dem Geständnis deshalb bei der richterlichen Beweiswürdigung keine oder eine nur geringere Bedeutung zukommen dürfte.

Erhebliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils ergäben sich auch nicht aus der Rüge der K, das VG hätte bei der Überprüfung der Zuverlässigkeitsprognose die zu ihren Gunsten sprechenden Aspekte nur unzureichend berücksichtigt. Das VG habe die von der B angestellte negative Prognose zur gaststättenrechtlichen (Un-)Zuverlässigkeit der K v.a. mit der Überlegung bestätigt, dass sich aufgrund der Anzahl der von ihrem Geschäftsführer begangenen Taten und des längeren Tatzeitraums eine einmalige, persönlichkeitsfremde Verfehlung ausschließen lasse. Ebenso ergebe sich die negative Prognose aus der Tatsache, dass die Tathandlungen bei zwei verschiedenen Anlässen im Rahmen zweier Gewerbebetriebe erfolgt seien. Die Strafaussetzung zur Bewährung im strafgerichtlichen Urteil führe zu keiner anderen Bewertung, da die strafrechtliche Sozialprognose vorliegend nur auf die fehlenden Vorstrafen des Geschäftsführers und dessen Schadenswiedergutmachung sowie wirtschaftlich geordnete Verhältnisse gestützt worden sei. Dies sei nicht ausreichend, um zu einer positiven gewerberechtlichen Prognose zu gelangen. Auch eine Wiedergutmachung des Schadens führe nicht zu einer positiven Prognose, wenn sie iRd Verständigung in erster Linie erfolgt sei, um Strafaussetzung zur Bewährung oder Ähnliches zu erlangen. Auch sei nicht zu beanstanden, dass das VG bei der Prognose zur Frage der gaststättenrechtlichen Zuverlässigkeit nicht maßgeblich auf die erfolgte Strafaussetzung zur Bewährung abgestellt habe. Weiter habe K die Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils nicht mit der Behauptung in Frage gestellt, es liege ein Ermessensausfall bei der Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebs (§ 31 GastG iVm § 15 II 1 GewO) vor. K habe schließlich nicht dargelegt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die Entscheidung des VG beruhen könne (§ 124 II Nr. 5 VwGO).

Praxishinweis

Dass Verwaltungsbehörden und -gerichte ihrer Beurteilung der Zuverlässigkeit regelmäßig ohne eigene Ermittlungen die strafgerichtlichen Feststellungen zugrunde legen können, entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. nur BVerwG BeckRS 1997, 3122080). Zur Begründung einer Ausnahme von diesem Grundsatz tragen Betroffene häufig vor, die strafrechtliche Verurteilung basiere auf einer Verständigung nach § 257c StPO und das in diesem Zusammenhang abgelegte Geständnis sei nur als „formales Anerkenntnis“ zu betrachten. Auf diesem Weg versucht sich der Betroffene nachträglich von den Festlegungen im Strafverfahren zu lösen, um eine günstigere isolierte verwaltungsrechtliche Beurteilung zu erreichen. Die inzwischen gefestigte Rechtsprechung hat für diesen Ansatz sehr hohe Hürden aufgestellt. So bedarf es einer substantiierten Darlegung, inwiefern die Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts überhaupt falsch gewesen sein sollen (vgl. Rathgeber, FD-StrafR 2016, 381024). Eine Ausnahme könne lediglich dann bestehen, wenn es sich bei dem Geständnis nur um eine „Zustimmung zur Verständigung nach § 257c StPO“ gehandelt hätte (vgl. Rathgeber FD-StrafR 2016, 381390). Können diese Punkte im Verwaltungsverfahren nicht hinreichend unterlegt werden, bestehen nur geringe Aussichten auf eine erneute Sachverhaltsermittlung.

Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 22. November 2016

November 2016